Themenschwerpunkt 2016 - 2017: Lebensphilosophie 1 - 4
Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche gelten als entscheidende Ideengeber einer bis heute aktuellen philosophischen Bewegung: der Lebensphilosophie. Sie waren es, die erstmals konsequent die psychischen, biotischen und historischen Lebensquellen ins Zentrum des Philosophierens rückten: Lebenswillen und Gestaltungskraft, Unmittelbarkeit und Gefühl, Unbewusstes und Leibesvernunft, Zeitgeist und Lebenswelt, Intuition und Einfühlung, Kunst und Kreativität. Mit ihnen kam es zu einem Paradigmenwechel: von der Seins- und Begriffsphilosophie hin zu einer Werdens- und Erlebensphilosophie, von einer ‚verkopften’ Schulphilosophie (mit Schopenhauer: einer „Professorenphilosophie für Philosophieprofessoren“) hin zu einer ganzheitlichen und lebenskünstlerischen Philosophie.
Das Nietzsche-Forum München e. V. widmet sich dieser interessanten lebensphilosophischen Bewegung in einem vierteiligen Vortragszyklus unter der Überschrift „Lebensphilosophie 1-4“, der sich über die Saison 2016 und 2017 erstrecken wird. Erstmals wird hierbei vornehmlich versucht, nicht nur den Philosophen, sondern ebenso den Philosophinnen gerecht zu werden und nach dem lebensphilosophischen Beitrag von Frauen zu fragen: auch hierin öffnen sich die Perspektiven, auch hierin ereignet sich symptomatisch ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel.
Der Zyklus wird entsprechend unterteilt werden in die Thematisierung der „Väter und Mütter“ einerseits (Teil 1 und Teil 2 im Jahre 2016), sowie der „Töchter und Söhne“ andererseits (Teil 3 und Teil 4 im Jahr 2017).
Die regelmäßigen monatlichen Vorträge werden sich dabei den einschlägigen philosophischen Entwürfen widmen von Denkern und Denkerinnen wie Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche, Wilhelm Dilthey und Henri Bergson, Georg Simmel, Ludwig Klages, Malwida von Meysenbug und Helene Stöcker, Franziska zu Reventlow, Susanne K. Langer und anderen.
Lebensphilosophie 1
Die Väter.
Arthur Schopenhauer (1788-1860) und Friedrich Nietzsche (1844-1900) gelten als entscheidende Ideengeber einer bis heute aktuellen philosophischen Bewegung: der Lebensphilosophie. Sie waren es, die erstmals konsequent die psychischen, biotischen und historischen Lebensquellen ins Zentrum des Philosophierens rückten: Lebenswillen und Gestaltungskraft, Unmittelbarkeit und Gefühl, Unbewusstes und Leibesvernunft, Zeitgeist und Lebenswelt, Intuition und Einfühlung, Kunst und Kreativität. Mit ihnen kam es zu einem Paradigmenwechsel: von der Seins- und Begriffsphilosophie hin zu einer Werdens- und Erlebensphilosophie. Wichtige akademische Gründerväter dieser neuen Werdens- und Erlebensphilosophie sind Wilhelm Dilthey (1833–1911), Henri Bergson (1859–1941) und der späte Georg Simmel (1858–1918). William James (1842-1910) entwickelte, in Kontakt zu Henri Bergson, eine US-amerikanische Variante der Lebensphilosophie: den Pragmatismus. Doch, wie Schopenhauer und Nietzsche, aber auch wichtige Gründermütter wie Malwida von Meysenbug (1816-1903), Lou Andreas-Salomé (1861-1937) und Helene Stöcker (1869-1943) beweisen, hatte (und hat) die Lebensphilosophie immer auch eine starke außerakademische Tradition. Hier stehen weniger die erkenntnisgenetischen Probleme im Vordergrund als vielmehr die Fragen nach einer modernen Lebenskunst und Liebesphilosophie.
Lebensphilosophie 2
Die Mütter.
Die am 25. Januar des Jahres von Dr. Robert Kozljanic erfolgreich gestartete neue Vortragsreihe unter dem übergreifenden Titel „Lebensphilosophie 1 – Die Väter“ konnte mit großem Zulauf erfolgreich weitergeführt werden bis hin zur Sommerpause. Nun wird es im Herbst zu den „Müttern“ der Lebensphilosophie gehen, zu Damen, deren Philosophieren für die Entwicklung dieser philosophischen Richtung, darüber hinaus aber auch für die Entwicklung der Europäischen Geistesgeschichte von großer Bedeutung und vielfältiger wie unterschiedlicher Wirkung war. Denn hier begegnen wir den ersten Damen, denen es gelingen konnte, sich eine hörbare/lesbare Stimme zu erkämpfen, einen eigenen intellektuellen Werdegang, einen Studienplatz, ja sogar eine philosophische Dissertation: dies unter größten Schwierigkeiten und nicht ohne den Weg in und über die diesbezüglich fortschrittliche Schweiz.
Biographie und Philosophie verschränken sich hierbei einerseits situationsbedingt, andererseits aber vornehmlich auch intellektuell und hiermit besonders bedeutsam die wegweisende Richtung der Lebensphilosophie produktiv ergänzend und bestärkend.
Mit dem Aufklärungsauftakt Jean Jacques Rousseaus war nicht nur die Erziehung Emiles, sondern auch jene der Nouvelle Heloise durchaus reflexions- und revisionsbedürftig geworden. In adeligen Häusern wurden zunehmend auch die Töchter in den Unterricht der – zumeist ja nicht unbedeutenden Hauslehrer – einbezogen, und sie begannen, die hausinternen Bibliotheksbestände zu nutzen. In großbürgerlichen Häusern zog man – prestigebedingt – langsam nach. Den bedeutenden Schritt aus der Sparte Unterhaltung in Richtung ernst zu nehmender akademischer Ausbildung und gar Professionalisierung mussten sie sich dennoch hart erkämpfen; sie müssen dies nach wie vor bis in unsere heutige Zeit.
Der Philosoph Friedrich Nietzsche spielte hierbei eine nicht unbedeutende Rolle: keiner hatte bis dato so vehement wie er die Eigenständigkeit des Fragens und Suchens, eines eigenen Weges des Freien Geistes derart herausgefordert, ja als unabdingbar verlangt und regelrecht mit dem Hammer zu erzwingen versucht wie er. Und auch Wilhelm Dilthey gehörte zu den erste akademischen Lehrern in Deutschland die bereit waren, weibliche Talente zu fördern.
Zu den Damen, deren Philosophieren für die Entwicklung des Projektes Lebensphilosophie von großer Bedeutung und von vielfältiger wie unterschiedlicher Wirkung waren, gehören Bettina v. Arnim, die Lebensphilosophin Malwida von Meysenbug, Lou Andreas-Salomé sowie die Linksnietzscheanerin und Mutter einer emanzipierten Lebensphilosophie Helene Stöcker.
Lebensphilosophie 3
Die Töchter.
Nachdem 2016 in der Reihe Lebensphilosophie die Väter und Mütter der Lebensphilosophie vorgestellt wurden (insbesondere Schopenhauer, Bergson, Dilthey, Nietzsche und Bettina von Arnim, Malwida von Meysenbug, Lou Andreas-Salomé, Helene Stöcker) – wird die Reihe 2017 mit den „Töchtern der Lebensphilosophie“ fortgesetzt. Besonders gewürdigt werden: Erstens, die Georg-Simmel-Schülerin Margarete Susman (1872-1966) mit ihrer – die Tradition von Meysenbugs und Stöckers fortsetzenden – Philosophie der „Emporwandlung“ zu einem „höheren Sein“ durch Liebe. Zweitens, die fin-de-siècle Femme fatale München-Schwabings, Franziska zu Reventlow (1871-1918), die – angeregt durch Ihren Geliebten Ludwig Klages – eine freizügige Eros-Philosophie entwickelte. Drittens, die von Ernst Cassirer inspirierte Susanne K. Langer (1895-1985), deren Philosophie einen Meilenstein auf dem Weg zu einer „emotionalen Vernunft“ darstellt. Und viertens, die von Karl Jaspers herkommende Jeanne Hersch (1910-2000) mit ihrer Philosophie der existenziellen Freiheit und Verantwortung. (Robert Kozljanic)
Lebensphilosophie 4
Die Söhne.
Nachdem wir in unserer „Reihe Lebensphilosophie“ 2016 die „Väter und Mütter der Lebensphilosophie“ vorgestellt haben und uns, seit Januar 2017, mit den „Töchtern“ beschäftigten (insbesondere Margarete Susman, Franziska zu Reventlow, Susanne K. Langer und Jeanne Hersch), wird abschließend der Blick auf die „Söhne und Enkel“ gerichtet. Prof. Dr. Jürgen Hasse widmet sich in seinem Vortrag „Zur politischen Relevanz der Lebensphilosophie“ u. a. Karl Jaspers (1883-1969), Romano Guardini (1885-1968), Otto Friedrich Bollnow (1903-1991), Hermann Schmitz (geb. 1928) und Peter Sloterdijk (geb. 1947). Und PD Dr. Thomas Rolf stellt „Peter Sloterdijks zeitgenössischen Nietzscheanismus“ vor. Auch hier werden wir wieder ein Augenmerk auf die Lebenskunst werfen – Lebenskunst als „Sorge um sich“ (Michel Foucault). Und werden mit Rilke und Sloterdijk fragen: „Wenn wir unser Leben ändern müssen – wie?“